Das Eltern-Magazin „Barrio“ hat uns angefragt, einen Beitrag zum Thema „Paarbeziehung in der Corona-Krise“ zu schreiben. Hier können Sie ihn direkt lesen:
Auch Paarbeziehungen stehen aktuell vor vielfältigen und außergewöhnlichen Herausforderungen. Gesundheitliche und finanzielle Sorgen, sowie die Einschränkungen im Zuge des „Lockdown“ können eine Belastungsprobe für die Beziehung darstellen. Markus Senft und Verena Braun von „Beziehungsberatung Heidelberg“ bieten einen Weg an, mit dem man als Paar (nicht nur) die Schwierigkeiten der Coronakrise gemeinsam bewältigen und gestärkt daraus hervorgehen kann.
Von der Coronakrise in die Beziehungskrise?
Die meisten Menschen stehen momentan vor der Aufgabe, die direkten sozialen Kontakte massiv einzuschränken und sich zuhause zurückzuziehen. Für Paare, die zusammenwohnen und nicht arbeiten gehen können, bedeutet das plötzlich ein deutliches Mehr an räumlicher Nähe zum Partner oder zur Partnerin und ein deutliches Weniger an gewohnten Aktivitäten wie Sport, Hobbies oder Treffen mit Freund*innen.
Manche Paare erleben diese besondere Zeit als etwas Bereicherndes, andere als massive Belastungsprobe für ihre Beziehung.
Erfahrungen aus China zeigen beispielsweise, dass eine Zunahme an häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder eine schwerwiegende Folge der wochenlangen Isolation war. Zudem stieg bereits nach wenigen Wochen Quarantäne die Scheidungsrate deutlich an.
Wenn unterschiedliche Bedürfnisse zum Problem werden
In schwierigen Situationen werden bei den meisten von uns bestimmte Bedürfnisse stärker, wie beispielsweise nach Sicherheit, Nähe, Distanz, körperlicher Zuwendung, Geborgenheit oder Kontrolle.
In der aktuellen Lage können zwei Menschen in einer Partnerschaft diese ganz unterschiedlich zum Ausdruck bringen:
Während die eine so viele Nachrichten wie möglich aufnehmen möchte, fühlt sich der andere dadurch überlastet;
der eine will viel darüber sprechen, die andere sich lieber bewusst über Positives unterhalten;
sie möchte vermehrt kuscheln, ihre Partnerin braucht zusätzliche Zeit für sich;
der eine will durch Sport und gesunde Ernährung das Immunsystem stärken, der andere sich nicht noch mehr Disziplin auferlegen.
Unterschiedliche Bedürfnisse und deren individuelle Umsetzung sind grundsätzlich kein Problem. Unter normalen Umständen finden Paare einen Weg, wie sie mit diesen Unterschiedlichkeiten gut umgehen können.
Durch veränderte Lebensbedingungen lassen sich aber manchmal die bekannten und bewährten Lösungsstrategien nicht mehr anwenden.
Auf einmal fühlt man sich vielleicht nicht mehr gesehen, ungerecht behandelt, unverstanden oder nicht berücksichtigt. Gegenseitige Vorwürfe sind oftmals die Folge, die wiederum beiderseits meist zu Abwehrreaktionen führen. Nicht selten gerät ein Paar unversehens in einen Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint. Der Eindruck entsteht, dass sich die Abwärtsspirale desto schneller dreht, je mehr man um eine Lösung ringt.
Den Teufelskreis aus Vorwürfen und Abwehrreaktionen durchbrechen
Als Grundannahme für die folgende Strategie ist es günstig, anzunehmen, dass dem typischen „Sich-im-Kreis-Drehen“ anerkennenswerte Lösungsversuche auf beiden Seiten zu Grunde liegen. Diese führen allerdings nicht zum gewünschten Ergebnis. Bei länger andauernder Wiederholung verfestigen sie sich sogar zu einem unerwünschten Muster, das die alte bewährte Lösungsstrategie vollständig ersetzt.
Dieses negative Lösungsmuster gilt es zu durchbrechen.
In unserer Praxis hat sich ein Vorgehen in mehreren Schritten als hilfreich erwiesen, das bei aller Unterschiedlichkeit einen gemeinsamen Weg ebnen kann
1. Für ein gutes Gesprächsklima sorgen
Wenn die Situation „hochkocht“, ist es oft nützlich, das Gespräch zu unterbrechen und es nach einer Auszeit mit räumlicher Trennung „sortierter“ wieder aufzusuchen. Nach einer Bedenkzeit fällt es eventuell leichter, den zuvor gemachten Vorwurf in das damit verbundene Bedürfnis zu übersetzen. Vielleicht kann das Gespräch sogar auf den nächsten Tag verschoben werden, um sich in der Zwischenzeit wieder auf angenehmere Themen zu konzentrieren.
2. Bedürfnisse in die Kommunikation bringen
Wird das Gespräch wieder aufgenommen, einigt man sich im nächsten Schritt darauf, einander zu erzählen und voneinander zu erfahren, was jeder Einzelne braucht oder sich wünscht. Das formuliert man als eine Mitteilung über sich selbst – unabhängig von einer potentiellen Erfüllung durch den oder die anderen. Die zuhörende Person kann Nachfragen stellen und ansonsten die Information einfach zur Kenntnis nehmen. Viele Menschen empfinden es bereits als wohltuend und verbindend, wenn sie das Gefühl haben, ihnen wird Gehör und Interesse für das eigene Erleben geschenkt.
3. Wünsche und Lösungsideen austauschen
In den meisten Fällen löst die Erfahrung „Gehört worden zu sein“ die akuten Spannungen und dadurch wird es leichter, in einen wohlwollenden Austausch über Wünsche und Lösungsideen zu kommen. Auch hier berichten Paare von guten Erfahrungen damit, wenn diese Ideen erst einmal nur angehört und respektiert werden. Das bedeutet an dieser Stelle noch nicht, dass diese Vorschläge auch umgesetzt werden müssen. Sie anzuhören hilft aber dabei, sich über die Vorstellungen des oder der anderen ein umfassenderes Bild machen zu können. Dadurch können Konflikte, die auf Missverständnissen und falschen Annahmen über das Innenleben des oder der Partner*in beruhen, vermieden werden.
4. Stellung beziehen und Entscheidungen treffen
Jetzt sind die Grundlagen dafür geschaffen, Stellung zu beziehen und dadurch Lösungsmöglichkeiten ein- und auszuschließen. Beide erklären demnach, ob und wie sie zu welchen Wünschen und Bedürfnissen des oder der anderen beitragen können (oder wollen).
Häufig finden Paare hier bereits neue Kompromissmöglichkeiten. Der eine Wunsch kann teilweise erfüllt werden, ein weiterer zu einem späteren Zeitpunkt.
Die vorangegangenen Schritte des wohlwollenden Zuhörens und der gegenseitigen Akzeptanz fördern eine Atmosphäre, in der gemeinsame Kreativität wieder möglich wird.
Manchmal stellt sich aber auch heraus, dass ein Wunsch an den anderen unerfüllt bleibt.
In solchen Fällen kann es ein Ausweg sein, den Wunsch zu modifizieren oder durch einen anderen, umsetzbaren Wunsch auszutauschen.
Findet sich auch hierüber kein Konsens, könnte man die Wichtigkeit des Zusammenkommens in diesem Punkt nochmal prüfen. Vielleicht gibt es momentan ein geteiltes Ziel mit höherer Priorität. So kann ein (temporärer) Verzicht auf die Erfüllung des eigenen Bedürfnisses beispielsweise zugunsten der Kinder, der Gesundheit oder gemeinsamer Werte, eher in Kauf genommen werden.
Gemeinsam durch die Krise
Das Schwierige an der Corona-Pandemie liegt unter anderem darin, dass nicht klar ist, wie lange diese Veränderungen des Alltagslebens notwendig sein werden. Sicher ist aber, dass auch diese Krise vorbeigehen wird. Mit regelmäßigen Auszeiten, gegenseitiger Unterstützung, wohlwollendem Zudrücken des einen oder anderen Auges und dem Anerkennen und Besprechen der jeweiligen Bedürfnisse und Wünsche bestehen sehr große Chancen, gemeinsam gut durch die Krise zu kommen – und darüber hinaus!
Verena Braun und Markus Senft